Mittwoch, 21. Oktober 2015

Einsame Wölfe und der Krieg der Hashtags

Die Serie von Anschlägen stellt Israels Polizei vor neue Herausforderungen. Einzelne Täter radikalisieren sich im Netz; wann wer zuschlägt, ist kaum vorherzusagen. Das Netz ist zu einem Schlachtfeld geworden, es tobt der Krieg der Hashtags.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Die Stimmung in der Altstadt von Jerusalem ist angespannt. "Wir können nicht vorhersagen, wann der nächste Attentäter zuschlägt", sagt Polizeisprecher Micky Rosenfeld. Man solle aber das arabische Viertel rund um das Damaskus-Tor meiden, rät er. Rosenfeld soll Recht behalten: Nur eine halbe Stunde später kommt es dort zu einem schweren Zwischenfall: Ein junger Palästinenser habe Polizisten mit einem Messer attackiert, der Angreifer sei "neutralisiert" worden, wie es in der Polizeisprache heißt.
Tausende Polizisten unterstützt von Soldaten sind in Jerusalem im Einsatz.
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Tausende Polizisten unterstützt von Soldaten sind in Jerusalem im Einsatz.
Polizeisprecher Micky Rosenfeld in der Altstadt von Jerusalem
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Polizeisprecher Micky Rosenfeld in der Altstadt von Jerusalem
Die Täter agieren spontan; ihre Waffen sind Messer und Autos, die sofort und praktisch überall zur Verfügung stehen. Für die Polizei steht daher neben der Präsenz in Jerusalem derzeit vor allem eine Aufgabe auf dem Programm: Soziale Netzwerke beobachten, um potentielle Attentäter rechtzeitig zu identifizieren. Die Bedeutung der Netzwerke bei der Radikalisierung sei überragend, betont ARD-Korrespondent Richard Schneider. Für Geheimdienste sei nicht vorherzusehen, wer wann zuschlagen könnte, meint auch Avital Leibovich, israelische Social-Media-Expertin. Die neuen Attentäter seien "einsame Wölfe", für die es keinen Prototyp gebe.
Entscheidend für den Schritt von der Empörung zum Handeln ist dabei ein Thema, das die Menschen emotional direkt berührt - und in den vergangenen Monaten hat sich der Streit um den Tempelberg bzw. die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem verschärft. Israelis werfen Palästinensern vor, Legenden zu verbreiten und so den Konflikt zu schüren; Palästinenser werfen Israelis vor, die Gefühle von Muslimen zu verletzen. Der palästinensische Politiker Ziad Abu Zayyad betont, viele Menschen seien beleidigt, wenn Juden Zugang zu der Moschee erhielten, sie fühlten sich von dem Konflikt persönlich und emotional betroffen - und genau das sind die Voraussetzungen, damit Themen auch in sozialen Medien erfolgreich sind. Der Hashtag #IntifadaAlAqsa läuft seit Anfang Oktober auf den Mobiltelefonen der palästinensischen Jugend heiß.

Mehrheit für Intifada

Auch wenn die Hamas bereits seit Tagen einen flächendeckenden Aufstand aller Palästinenser fordert: Von einer organisierten Intifada könne aber bislang nicht die Rede sein, meinen Experten übereinstimmend. Der palästinensische Analyst Khalil Shikaki, der seit Jahren die Stimmung in der Bevölkerung sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland erforscht, warnt aber: Im September habe es erstmals seit zehn Jahren bei einer Umfrage eine Mehrheit für eine Intifada gegeben. 57 Prozent der Palästinenser unterstützen demnach einen bewaffneten Aufstand.
Meinungsforscher Khalil Shikaki
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Khalil Shikaki warnt: Es gibt eine große Unterstützung für einen bewaffneten Aufstand.
Die wachsende Zustimmung habe mit einer zunehmenden Hoffnungslosigkeit der Palästinenser zu tun, erklärt Shikaki. 80 Prozent der Palästinenser hätten das Gefühl, von der arabischen Welt verlassen worden zu sein. Daher müsse man das Schicksal wieder in die eigene Hand nehmen, so die vorherrschende Meinung.

Enttäuschte Jugend

Viele Palästinenser fühlen sich aber auch von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Stich gelassen. Die anhaltende Korruption habe seine Fatah in eine tiefe Krise gestürzt, sagt die israelische Knesset-Abgeordnete Ksenia Svetlova von der oppositionellen "Zionistischen Union". Das Rennen um die Nachfolge des alternden und gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten sei längst eröffnet. "Die Kandidaten agieren dabei nach dem Motto: 'Wer ist der Radikalste?'", erklärt Svetlova. Doch wie die Abbas-Nachfolge angesichts der politischen Spaltung der Palästinenser rechtlich geklärt werden soll, ist ebenfalls noch vollkommen unklar. Neuwahlen sind ohnehin seit Jahren überfällig.
Die Hamas profitiere aber nur bedingt von der Schwäche des Präsidenten, erklärt Meinungsforscher Shikaki, denn die junge Generation habe nach der Machtübernahme der Islamisten im Gazastreifen gesehen, was ein Gottesstaat praktisch für sie bedeute. Die Hamas punkte eher mit ihrer Militanz und radikalen Feindschaft gegen Israel; außerdem gelte sie als weniger korrupt als die Fatah.

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